Symposium




Paraflows 06 – the nets beyond the net

Abstrakte Zielsetzungen für lokale Communities

Wir schreiben das Jahr 2006 und weder Amnesty International noch Greenspeace sind ihre Gründungsthemen abhanden gekommen. Doch im Hintergrund der Gesellschaft zeichnen sich mittlerweile so neuartig verfasste Problemhorizonte ab, dass sie die vereinten Kräfte einer ebenfalls neuartig verfassten Zivilgesellschaft herausfordern, die sich aus Kompetenzen  der Computer- und Rechtswissenschaften genauso wie Vertretern der Creative Industries und der freien Künste zusammensetzen müsste.

Und tatsächlich ließ sich in den vergangenen Jahren die Formierung solcher alternativer task-forces beobachten, wie etwa der jüngst in Schweden enstandenen state-of-the-art- Bewegung der Piraten-Parteien, die zum Ziel haben, weltweit immer mehr technikbewanderte BürgerInnen in die Parlamente entsenden zu können, oder den Big Brother Awards, deren eigene Beobachternetzwerke die lokalen Fälle korporativer Daten- und Personenschutzverletzungen schon in mehr als 15 Ländern in jährlichen Shows der Sichtbarkeitsmachung inszenieren, oder der Free Software Foundation, deren selbstdesignte Betriebssysteme und Lizenzformen die Unabhängigkeit von Staaten, Kunden und Nutzern in die bestehende IT-Landschaft mit ihrer Vielzahl lukrativ-verdeckter Abhängigkeitsfallen hineintragen können. Sie alle raten in ihrer freien Zeit den Politikerinnen, Juristen und Journalisten davon ab, unsere Gesellschaften weiterhin in in eine Richtung zu steuern, von der man besonders auf dem Hintergrund europäischer Erfahrungen besser verstehen sollte, wohin sie führt: eingeschüchterte Bürgerinnen und Bürger, kontrollbesessene Entscheidungsträger, Atmosphären des Faschismus, angetrieben von den aktuellen Informationstechnologien und ihren Playern und Shareholdern.

Zu diesem Zeitpunkt gelingt es den Beteiligten am Wiener NetzNetz-Experiment, eine jährliche Summe von 500.000 Euros zwischen sich selbst und ihren Projekten umverteilen zu können, verbunden mit der Verpflichtung, Schritt für Schritt die eigenen Prozeduren zu stabilisieren und zu rekonstellieren, in einem kollektiven und demokratischen Modus der nichtsdestotrotz Resultate erzielen können muss. Diese komplexe Aufgabe scheint sich genauso einfach zu erweisen wie ein "Flugzeug in der Luft umzubauen“ (A. Limi). Doch in der permanenten Ko-Konstruktion ihrer lokalen workflows verändern sie jetzt schon auch die Flüsse von Geld und Hardware, von Materialien und Wissen, von Information und Inspiration in ihrer Stadt. Aus persönlicher Sicht blicken viele zudem schon jetzt zurück auf eine hybride Zusatzausbildung in Computerwissenschaften, Sozialwissenschaften und den Künsten und bezeugen mit ihrer eigenen Erfahrung im NetzNetz-Prozess, wie die Wahrnehmung von wissenschaftlichen Fakten und künstlichen Artefakten, Werkzeugen zur Kollaboration und Hilfsmitteln zur Selbstentfremdung, verheißungsvoller Instabilität und altmodischen Routinen manchmal in ziemlich paradoxer Weise ineinander übergehen zu scheinen, als ob beide Zustände zugleich, bzw. parallel wahr wären.

Doch welchen Bezugspunkt können zwei so verschieden skalierte Anstrengungen sinnvollerweise gemeinsam haben, die teils netzbasierte Organisaton eines lokalen Produktions- und Sicherheitsnetzes und eine internationale, technikgestütze Koordination der Kräfte in der Sorge um miteinander verwobene Belange wie etwa Neufassungen des Urheber- und Patentrechts für die digitalen Kontexte? Als erster Verdacht bietet sich an: Personen. Denn lediglich ein Rückblick in die Ideologien und Technologien der Jahre 1968 und 1996 kann kaum ausreichen, um die neuen Machtkonstellationen zu beschreiben, welche sich mittlerweile zwischen den sozialen, politischen, legalen, technologischen und persönlichen Aspekten unseres Alltags bemerkbar machen.

Ob in Wien oder anderswo, um nicht zu paralysieren können frische Sichten auf diese Konstellationen gewonnen werden, durch den Test möglicher Re-Konstellationen und im Blick auf die gegenwärtig erfolgreichen Modelle kollektiver Zusammenarbeit mit notwendigerweise langfristigen Zielen. Und indem die Erinnerung daran wachgehalten wird, dass, bei aller Komplexität, die "wichtigste Energiequelle die Daseinsform des Menschen ist und dessen, was er oder sie für richtig hält“ (J.A. Wheeler). Paraflows 06 wird verschiedene Zugänge zu einer persönlichen Selbstorganisation mit globaler Bandbreite vorstellen.

Teilnehmer:

Rena Tangens (foebud.org), Gary Danner & Elisa Rose (Station Rose), Hartmut Pilch (ffii.org), Mirko T. Schäfer, Alvise Mattozzi, Rick Falkvinge (Pirat Partiet, Stockholm; remote), Tom Fürstner, Rainer Prohaska (cntrcpy), Frank Hartmann, Denisa Kera, Florian Hufsky (Piraten Partei Österreich), Pamela Bartar (concult.at), Thomas Ballhausen, Vladimir Jeric (Creative Commons Serbia), Jan Lauth, Andreas Trawögger u.a.