Entwürfe: Konstruktionen von Heimat und Fremde

SYMPOSIUM - Freitag, 16.09.2016, ab 14:00 Uhr

Moderation: Thomas Ballhausen



14:00 | Kickoff und Buchpräsentation
Intimacy: Plug-in - Exploit - Care & Digital Migration: Konstruktionen - Strategien - Bewegungen


Intimacy: Plug-in - Exploit - Care

 Wie sieht menschliche Nähe heute aus? Wie beeinflusst eine intensiv technologiegestützte Kommunikation unser Verständnis von Intimität und Beziehungen? Welche Rolle spielen neue und soziale Medien für die Überwindung von räumlicher oder zeitlicher Distanz und wie verändern sich Konzepte wie Vertrautheit oder Privatheit? Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist fluider geworden: das Digitale wird immer mehr ein Teil von uns. Was uns früher als unpassendes Eindringen der Technik in unsere Intimsphäre erschienen wäre, ist nun als „Wearable“-Technologie oder funktionale Prothese weitgehend akzeptiert. Intimität ist auch individuell und verwertbar geworden und lässt sich zunehmend aus Datenmaterial konstruieren. Durch die Selbstverständlichkeit digitaler Interaktion entsteht für viele eine emotionale Verbindung zu den Geräten. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Substitution menschlicher Nähe durch die Liebe zum Objekt oder zu Abbildungen im Netz? Personalisierte Technologien können unsere Intimzone mit der Öffentlichkeit vermischen. Vielfältige Möglichkeiten des Kontakteknüpfens und des Ausdrucks unserer Neigungen tun sich auf: von Online-Dating Portalen bis zu Gruppen mit genau spezifizierten Vorlieben abseits klassischer Porno-Narrative. Im Netz finden sich schnell Gleichgesinnte, aber auch einander vorher Fremde. Wie kann Technologie emotionale Momente unterstützen, speichern oder sogar erzeugen? Die Zurschaustellung unserer Verbindungen findet heute vernetzt, quantifiziert und öffentlich statt: Mit scheinbarer Leichtigkeit werden intime Details mit einer nahezu unüberschaubaren Menge an Menschen geteilt. Haben wir die Kontrolle über unsere einst als vertraulich angesehenen Inhalte bereits abgegeben? Oder verändert sich schlicht unsere Auffassung von dem, was dazu zählt? Wie sieht es mit dem Schutz uns vertrauenswürdig erscheinender digitaler Inhalte aus? Welche Auswirkungen hat die Erweiterung und Transformation unser Intimitätsräume? Und wie kann Technologie dazu beitragen, bestehende Normen des Sexualdiskurses aufzubrechen und alternative Fantasien oder Praktiken anzuregen? paraflows .9 INTIMACY verschreibt sich der Frage, wie es um unsere Intim- und Privatsphäre steht, welche Veränderungen zu erwarten sind und wie Gesellschaft und Kunst darauf reagieren.

Hrsg.: Günther Friesinger, Jana Herwig, Judith Schoßböck
Taschenbuch: 176 Seiten
Verlag: edition mono/monochrom, 2016
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-902796-43-1

Digital Migration: Konstruktionen - Strategien - Bewegungen

Die Bewegungen, die unsere Welt, unsere Gesellschaft und die Bilder, die wir uns von der Wirklichkeit machen, bestimmen, sind kontinuierlich und mannigfaltig. Die damit unleugbar verbundene Konstante des Wandels und der Metamorphose hat in den letzten Jahren eine Intensivierung und Zuspitzung erfahren, die einmal mehr deutlich macht, wie sehr sich eine aufgeklärte europäische Gemeinschaft verantwortlich fühlen müsste – eben weil „Migration“ nicht nur semantische Überlagerungen eines Begriffsfelds, sondern realpolitische Herausforderungen gezeitigt hat bzw. immer noch zeitigt. Parallel zur Abhaltung des paraflows .X Symposions, das im September 2015 unter dem Titel „Digital Migration. Konstruktionen – Strategien – Bewegungen“ stattfand und den Kern der vorliegenden Publikation bildet, überschlugen sich die globalen bzw. lokalen Ereignisse. Rückblickend wurde mit der Veranstaltung erneut deutlich, wie sehr Kunst und Wissenschaft in der Lage sind, politische Entwicklungen zu antizipieren, zu refl ektieren oder für weitere Entwicklungen wertvolle Inputs anzubieten. Politisch akzentuiert, doch ohne parteipolitisch limitiert zu sein, hat die parafl ows – und das meint das renommierte Festival ebenso wie das Symposion oder die begleitenden Rahmenveranstaltungen – auch mit diesem Schwerpunkt aktuelle Diskurse aufgegriffen und Analysen abseits medialer Überzeichnungen oder politischer Alternativlosigkeit geboten.

Hrsg.: Günther Friesinger, Judith Schoßböck, Thomas Ballhausen
Taschenbuch: 236 Seiten
Verlag: edition mono/monochrom, 2016
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-902796-42-4

Audiobeitrag

 

15:00 | Katharina Müller
Smart Home. Migrantische Mediennutzung und Social Design

Globalisierung, Digitalisierung, die rezenten Migrationsbewegungen sowie die Veränderungen des Nationalstaates haben einen erheblichen Einfluss auf Gesellschafts- und Stadtentwicklung. Eine ihrer wohl offensichtlichsten Konkretionen betrifft – als Zeugnis im Positiven wie im Negativen – die Architektur. Flüchtlingswohnen wird – als Teil einer medialen Repräsentation – mit negativen Bildern assoziiert (prominent etwa: das Beispiel der Banlieue). Hierbei ist es schon die Architektur selbst, die zu einer bestimmten Wahrnehmung führt und entsprechende Bilder von „Flüchtlingsleben“ evoziert. Der Social Turn birgt neue Herausforderungen und Handlungsspielräume: wir stehen inmitten einer Rekonfiguration der sozialen Frage und damit vor der grundlegenden Frage des Einflusses von mobilen Geräten auf Lebensräume. Wie könnte, unter den gegebenen Bedingungen, eine „Willkommensarchitektur“ aussehen?

Audiobeitrag

 

16:00 | Elina Mikkilä
Das Fremde im Eigenen

In meinem Beitrag hinterfrage ich die Gültigkeit jener Grenzen zwischen ‚Eigenem‘ und
‚Fremdem‘, die in Form von beharrlichen Dichotomien trotz fortschreitender Dezentralisierung
unseres Selbst häufig als Anhaltspunkt für identitätsstiftende Diskurse dienen. Erkunden möchte ich
diese Frage ebenso auf textueller Ebene, auf der durch Mehrdeutigkeiten, Assoziationen und
intertextuelle Verweise eine ästhetische Selbstreferenz in der Vielfalt inszeniert wird.

Id! Wer ist Subjekt in der eigenen Konstruktion, wenn das Unergründliche im Vertrauten die in
gemeinsamer Abhängigkeit entstehende innerpsychische Kohärenz gefährdet? ‚Es‘ spielt Memory
mit symbolischen Zeichen, doch manche Motive bleiben ohne Spiegelbild: Das vermeintlich
‚Eigene‘ sei aufgrund der „existenziellen“, auf unbewusst gespeicherte Kindheitserlebnisse
zurückzuführenden „Verschiebung“ stets „uneinholbar“ (Leskovec 2009). Wer gräbt da, um den
wahren Kern zu treffen, wenn dieser – ähnlich dem semantischen Wandel des Begriffs ‚authentisch‘
– in der Breite schwindet?

Entity? Enter Sobjekt – ein Zwitterwesen im Geist der sich mainstreamisierenden
Außenlenkung (‘other-directedness’, Riesman et al. 1950), das sich in einem komplexen Netz
geteilter Selbstentfremdung und internalisierter Fremdgestaltung zerstreut: Die hybride
Identifikation mit vielverheißenden Wahlverwandtschaften gestaltet sich ebenso flüchtig wie das
Metropolenhopping hipper Touristen, die auf der Suche nach einheitlichen und verbindlichen
Leitbildern zunehmend konform durch unsere globalisierte und medialisierte Lebenswelt zappen.
Das Paradoxon beschleunigter und zugleich komplizierter gewordener Selbstfindung spiegelt sich
beispielsweise in der jungen Literatur wieder, deren vielfach kolportierte Angepasstheit dem
Autonomieprinzip der Kunst widerspricht.

010101… Von der digitalen Informationsverteilung inspiriert lässt ein sorglos-souveränes
Sampling copy-pasteter Passagen (post)moderne Verfremdungstechniken wie Montage, Collage und
Intertextualität alt aussehen. Zwangskollektivierung kreativer Identitäten oder Zeichen der
Nachhaltigkeit in Zeiten sich potenzierender Textproduktion? Dort, wo Mehrweg-Gedankengut zu
einer Mosaikmasse zusammengepresst und an das rezeptive Verwertungslager weiter delegiert wird,
gerät das Copyright in (Wider)Streit. Klonen und geklont werden – wer beansprucht für sich jene
reflexive Distanz, die für die Konstruktion von Selbstbewusstsein (als Kohärenz autonomer
Einzelfragmente) notwendig ist?

Audiobeitrag

 

17:00 | Hannah Bruckmüller
Press and Release. Im Journal mit Marcel Broodthaers

Eine Goldschmiedin, ein Pantomime, ein Comiczeichner: In den frühen 1960er Jahren verfasst der spätere Künstler Marcel Broodthaers Portraits einer illustren Reihe von Kulturschaffenden. Es handelt sich hierbei um kurze Texte, die von je einer Schwarz-Weiß-Fotografie begleitet in französischsprachigen Zeitschriften erschienen. Heute sind diese Artikel beinahe in Vergessenheit geraten, Person als auch Publikation sind der historischen Sichtbarkeit weitgehend entkommen. Der Autor selbst ist ein damals noch Unbekannter: als erfolgloser belgischer Dichter arbeitet Broodthaers auf Tagelöhner-Basis als Journalist. Erst später positioniert er sich als bildender Künstler, heute wird er als wichtige und einflussreiche künstlerische Position zur europäischen Nachkriegsavantgarde gezählt.

Meine Präsentation fokussiert diesen Randbereich des journalistischen Publizierens, um davon ausgehend eine kleine Geschichte zum Release zu erzählen. Etymologisch changierend zwischen Rechtsprechung, Lossagung und Publik-Machen lässt sich dieser Begriff durchaus am Rand des Kunstgeschehens verorten. Zwischen verschiedenen Berufsbezeichnungen und Objektzuordnungen scheint das Release mit seiner offenen Ausgangslage wirksam zu werden: Inwiefern entlässt der Autor, Fotograf und Publizist Marcel Broodthaers das Publizierte – als was und wohin? Inwieweit ist dessen Wiederauftauchen in anderen Gefilden schon vorprogrammiert? Die Zeitschrift als Ort, Zeit und Modus der Veröffentlichung wird materieller Taktgeber für diesen Begriffsentwurf sein, nicht zuletzt um Fragen nach der Wiederverwertbarkeit, nach der Appropriation und dem (historiographischen) Weiterschreiben zu stellen.

Audiobeitrag